E-Mail-Gespräch zwischen Martin Seidel und Thomas Stricker
Thomas Stricker (* 1962) studierte an der Kunstakademie Düsseldorf Bildhauerei. Ausgangspunkt seiner Skulpturen und groß angelegten Projekte ist der Mensch in seiner natürlichen oder technisierten Umgebung. Zu seinen Werken gehören Plastiken und Skulpturen, die vergleichsweise traditionell anmuten, dabei aber spezielle Bezüge zum Ort ihrer Aufstellung aufweisen. Als Kunst am Bau für einen U-Bahnhof der Wehrhahn-Linie in Düsseldorf installierte Stricker im Jahr 2016 große Monitorwände mit einer aufwändigen Weltraum-Animation. Vielfach realisiert Stricker sozial und ökologisch orientierte Projekte als offene partizipative Prozesse. So initiierte er 2010 in Mexiko-Stadt einen Kompostplatz als Beitrag zur Beseitigung der Müllproblematik in der Stadt und gleichzeitig als sozialen Aufenthaltsort. Seit 2007 arbeitet der in Düsseldorf lebende Künstler an seinem „Lieblingsprojekt“, der Einrichtung und Pflege des „Primary School Garden Kalkfeld“ in Namibia.
Thomas Stricker, Sie realisieren Plastiken aus Bronze, hochtechnisierte Kunst am Bau sowie landschaftliche, ökologische und soziale Projekte. Haben diese doch sehr divergenten Ansätze für Sie eine unterschiedliche Wertigkeit?
Ja, seit vielen Jahren realisiere ich fast nur noch ortsspezifische künstlerische Projekte in den unterschiedlichsten öffentlichen Räumen. Da die Anfragen und Orte, die Ausschreibungen und manchmal auch die Zufälle – so wie das Leben – divergent sind, sind auch meine künstlerischen Herangehensweisen unterschiedlich, zumindest scheinbar.
Ich versuche, immer mit größtmöglicher Experimentierfreudigkeit, das Feld von zeitgenössisch möglicher Skulptur immer wieder neu auszuloten. Dabei stelle ich mir die Frage: Wo, wie und was kann heute für mich Skulptur sein? Und vor allem frage ich mich: Was macht wo Sinn? Daraus ergibt es sich zwangsläufig, dass ich auf unterschiedliche Materialien und Methoden zurückgreife, denen ich aber keinesfalls unterschiedliche Werte beimesse. Insofern werte ich nicht die Ansätze oder künstlerischen Mittel, sondern, ob ich es geschafft habe an einem Ort etwas Richtiges zu tun – ob mit Baumpflanz-Workshops in Afrika, mit einem Betongebirge in Berlin oder mit Mosaiksteinen in Pakistan.
Im Projekt „blüht es oder blüht es nicht?“ im Münsterland haben Sie vor Jahren in Gemeinschaft mit Bauern auf dem Feld ein 750 Meter langes großes Kreuz aus Raps entstehen lassen. Da war der soziale Aspekt einem Gestaltungsbegriff verpflichtet. Spielt das Bildnerische, das die klassische Grundlage der „bildenden Kunst“ darstellt, in Ihren späteren Projekten noch eine vergleichbare Rolle?
Für mich fand in der Arbeit „blüht es, oder blüht es nicht?“ die eigentliche Skulptur in dem über ein Jahr dauernden Kommunikationsprozess mit und zwischen den Bauern statt. Das Bild, das Land-Art-Projekt oder man kann auch sagen die Vision eines blühenden Rapskreuzes, diente dabei sozusagen der unsichtbaren Skulptur. Aber das klassisch Bildnerische interessiert mich nach wie vor und in gleicher Weise wie das Soziale, und es kann sehr entscheidend dazu beitragen, dass soziale Prozesse gelingen. Genauso wenig, wie die Sesshaftigkeit auf den Nomadismus folgt, ist das Soziale die Weiterentwicklung des Bildhaften in der Kunst. Beides geht gleichzeitig – und dann wird es wirklich spannend.
Aktuell arbeiten Sie wieder an dem School-Garden-Projekt in Kalkfeld/Namibia. Was passiert da? Stellen Sie für die stattfindenden sozialen Prozesse und ökologischen Interventionen auch einen ästhetischen Zusammenhang her?
Seit mittlerweile elf Jahren ist es einerseits ein ständig wachsender Schulgarten im Township Kalkfeld, wo momentan für 483 Kinder Agrikultur auch praktisch unterrichtet, wo gesät, gegossen, gejätet und geerntet wird. Der Schulgarten mit dem grünen Schattendach, gebaut als Strategie gegen das Scheitern, ist für mich gleichzeitig aber auch eine vertrauensbildende Massnahme zwischen Schwarz und Weiß, eine interkulturelle Zusammenarbeit und eine sozial engagierte Plastik an einem vergessenen Ort in der riesigen Kluft zwischen Arm und Reich.
Ästhetische und gesellschaftliche Zusammenhänge, bildhauerische Entscheidungen, Armut und Hunger verschmelzen hier miteinander. Ich begegne mit dieser Arbeit Menschen, deren Lebensumstände ich nur ein Stück weit begreifen kann. Mir begegnen Menschen, denen ich und meine künstlerischen Ansätze fremd sind. Aber wir begegnen uns mit Respekt und auf Augenhöhe. Wir kommunizieren und wir versuchen gemeinsam die Umstände an der Schule zu verbessern. Es ist eine Freude, dass mittlerweile nicht nur an der Schule Zitronenbäume, Chilis und Tomaten wachsen, sondern auch in der ganzen Location kleine Gärtchen entstanden sind, die das Township auch visuell verändern.
Wer ist der Auftraggeber? Und als was betrachtet er das Projekt?
Einen Auftraggeber im herkömmlichen Sinne gibt es nicht.
Über die Künstler Alfonso Hüppi und Holger Bunk gelangte ich nach Kalkfeld. Die Forderung des namibischen Schulministeriums nach theoretischem und praktischem Unterricht von Agrikultur und der Wunsch der Schule, dem auch nachzukommen, wurde dann per Zufall an mich herangetragen und ist das eigentliche Fundament der ‚Skulptur‘. Somit ist die Zielgruppe irgendwie auch der Auftraggeber, was aber ohne Unterstützung nicht funktioniert. Diese haben wir in vielen großartigen Privatpersonen gefunden. Aber auch Stiftungen wie der Kunstfonds, die Kulturlandsgemeinde des Appenzell Ausserrhoden und die Kulturstiftung des Bundes treten für das Projekt ein.
Und wer oder was sind Sie in den Augen der beteiligten Kinder und Erwachsenen? Künstler? Lehrer? Entwicklungshelfer?
Ich weiß es nicht. Die Stimmung mir gegenüber ist von Wärme und Respekt geprägt. Ob ich Künstler bin oder nicht, viele der Kinder und der beteiligten Erwachsenen wissen das vielleicht gar nicht. Die Menschen dort haben leider ganz andere Sorgen.
Diese Kategorien scheinen hier wichtiger. Wahrscheinlich sehen hier die einen in mir den Entwicklungshelfer, andere den Sozialen Plastiker, den Weltverbesserer, den Romantiker. Ich bin gerne Künstler und für unsere nächsten großen Pläne, den Bau eines Kinderheims an der Schule in Kalkfeld, wieder auf der Suche nach neuen Auftraggebern.
Ist es Ihnen persönlich wichtig, dass der School-Garden in der Kunstszene als Kunst wahrgenommen wird? Oder genügt es, wenn das Projekt seine sozialen und ökologischen Zwecke erfüllt und in diesen Funktionen eher als vernünftiges denn als im herkömmlichen Sinn ‚künstlerisches‘ Beispiel ausstrahlt?
Am Anfang spielte die Kunst nur eine kleine Rolle. Es genügte, dass bereits nach 3 Jahren überall im Township agrikulturelle Spuren sichtbar waren. Mittlerweile finde ich jedoch, dass das Projekt eine gewisse soziale und politische Relevanz gekriegt hat und gerade deshalb als künstlerisches Projekt diskutiert werden kann. Es wäre zu fragen: Warum funktioniert diese interkulturelle Zusammenarbeit seit über 11 Jahren? Wo ist der Unterschied zur Entwicklungshilfe?
Wie sehen Sie den Weg von Kunst und Bildhauerei generell? Wird Kunst, wie von Joseph Beuys gesagt und getan, kein eigenes System mehr bilden und sich in einer gesteigerten Sensibilität dem Leben gegenüber auflösen?
Ja, das sind großartige Gedanken. Ich bin Joseph Beuys seit meinem Studium dankbar für all die Räume, die er für die Kunst aufgestossen hat. Ich glaube nicht, dass ich ohne ihn die Gestaltung der Gesellschaft als bildhauerische Aufgabe sehen und so arbeiten könnte. Wenn künstlerische Interventionen in der Wirklichkeit stattfinden und Kunst mitten im Leben nur noch als Moment aufblitzt., dann wird es wirklich interessant und relevant.
Erschienen im Kunstforum Band 262, 2019