Die Meteoritenwerkstatt

Stephan Schmidt-Wulffen, 2000

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Wer sie nachts am Himmel sieht, hat einen Wunsch frei. Nur wenige Meteoriten, die beim Eintritt in die Atmosphäre in rund 100 km Höhe am nächtlichen Himmel glühen, erreichen die Erdoberfläche. Die meisten, so groß wie Kieselsteine, lösen sich nach kurzem Flug auf. Zu große Meteoriten explodieren. Der größte je gefundene wog 60 Tonnen und ist nahe Grootfontein in Namibia niedergegangen.

Thomas Stricker will einen Meteoriten bauen, der zwar nicht so schwer, aber noch größer sein soll. Er nutzt künstlich/künstlerische Mittel, um ein Naturereignis zu simulieren. Damit bezieht sich Stricker auf eine lange Reihe all jener, von Anaxagoras bis Stephen Hawking, die die Firmamente inspiriert haben. Spielerisch vertauscht er die Koordinaten von Ewigkeit und Vergänglichkeit, von Kosmischem und Irdischem, von Fernem und Nahem, von Festem und Fließendem. Ein Traum wird verwirklicht. „Ein visuelles, öffentliches Experiment über Zufälle und Wünsche, Schwerkraft und Proportion, über die Angst vor dem Fremden und den Traum vom Fliegen.“ (Stricker)

Legt man einen bedeutsamen Maßstab in der Diskussion um zeitgenössische Skulptur, den Kontext, an, so statuiert der Meteorit ein paradoxes Exempel: Er ist ein „Werk“, das sich seinen Ort selbst sucht. Er ist im wahrsten Sinne des Wortes eine „drop sculpture“, und doch erscheint damit der Zusammenhang mit seinem Umfeld – was der englische Terminus beschreiben soll – keineswegs zufällig. So musste die Werkstatt zum Produktionsort kommen und nicht, wie gewöhnlich, die Skulpturen in einer Werkstatt ihren Produktionsort finden. Als Atelier dient ein Zelt, das an den amerikanischen Ingenieur und designer Richard Buckminster Fuller (1895-1983) erinnert. Er orientierte sich bei seinen geodätischen Kuppeln an der Struktur von Molekülen und war an den Synergien von Natur und Design interessiert. Der Meteorit entsteht in einem aufwendigen Schwenkgussverfahren, das der Künstler bereits bei früheren Arbeiten erprobt hat.
Zu Anfang wird im Inneren zweier Styropor-Halbkugeln das Negativ des Meteoriten geformt. Nachdem die beiden Hälften zu einer Kugel zusammengefügt sind, werden die Innenwände mit Gips überzogen. Anschließend wird der Hohlkörper wie beim Tunnelbau mit Beton ausgespritzt. Wenn der Rohling nach dem Trocknen von der Styropor-Gussform befreit ist, wird die Form noch per Hand mit einer Palladium-Haut überzogen. Danach ist die Arbeit an der Skulptur abgeschlossen. Die Werkstatt um sie herum wird abgebaut. Auf der Alsterwiese liegt dann ein geheimnisvoller, metallisch glänzender Brocken, der scheinbar vom Himmel fiel.

Während des Entstehungsprozesses bleibt das Zelt geöffnet. Wer immer will, kann hereinschauen und den Fortgang der Arbeit begutachten. Stricker zählt auf die Mund-zu-Mund Propaganda. Durch diesen „Mythos“ sollen diejenigen, die erst später die vollendete Arbeit sehen, eine spezielle Beziehung zu ihr aufbauen. Der Mythos wird in gewissem Sinn zum Sockel dieser Arbeit.