Ich habe einen Garten in Afrika

Josef Felix Müller, 2014

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Gespräch von Josef Felix Müller mit Thomas Stricker im Herbst 2014 in St.Gallen

F: Wir kennen uns schon seit den 80er-Jahren. Du bist damals an die Kunstakademie nach Düsseldorf gegangen. In den letzten Jahren hast du mir immer wieder Projekte gezeigt, die du für den öffentlichen Raum gemacht hast. Es waren teilweise klassische skulpturale Arbeiten, aber auch Arbeiten, die du mit anderen zusammen an verschiedenen Orten der Welt realisiert hast. Eines, an das ich mich erinnere, ist das Brunnenprojekt „Düsseldorf – Kenia“.

T: Ja, für das Kanal- und Wasserbauamt der Stadt Düsseldorf konnte ich 2001 einen zweiteiligen Brunnen mit der Fassung der Quelle, der Brunnenstube in Düsseldorf und dem wasserspendenden Teil in Kenia realisieren. Eine imaginäre Wasserleitung, quer durch den Erdball, scheint den neu gebohrten Brunnen in Kenia zu speisen. Effektiv habe ich aber die Geldflüsse umgelenkt, sodass seither 160 Familien in der Gemeinde Kivaa Zugang zu sauberem Trinkwasser haben. Von diesem Projekt hat Alfonso Hüppi gehört. Er ist Künstler und war Professor an der Kunstakademie in Düsseldorf. Hüppi hat in Namibia mit seinem Freund Erwin Gebert auf dessen Farm das Etaneno Museum im Busch, ein Artist-in-Residence-Projekt, aufgebaut, das Künstlern aus Europa die Möglichkeit geben soll, in der Ruhe und in der Spannung des afrikanischen Buschlandes und weitab vom europäischen Kunstmarkt Kunst zu machen. So hat Alfonso auch mich nach Namibia auf die Etaneno Farm eingeladen. Da bin ich natürlich sehr gerne hin und habe dann auf dieser wunderschönen Farm schon bald das Afrika vermisst, das ich suchte, zu finden gehofft hatte oder auch befürchtet hatte zu finden. Diese tragischen Situationen. Zusammen mit Holger Bunk – auch er ein Künstler, der bereits mehrfach auf Etaneno war – bin ich dann ganz schnell in die nächste, 20 km entfernte Siedlung nach Kalkfeld in die Primary School gegangen und lernte dort die neue Schulleiterin Matilda !Kharuchas kennen.

F: Du bist also nicht mit einem Plan nach Afrika gegangen, was du dort machen willst, sondern hast gedacht, du schaust dir die Situation erst einmal an?

T: Genau, ich hatte überhaupt keinen Plan, keine Idee. Erst mal wollte ich etwas von Afrika sehen, die Menschen mitkriegen und alles auf mich zukommen lassen. Schnell war mir klar, dass ich wahrscheinlich nicht gross auf dieser weissen Farm arbeiten möchte und dort in dem Sinne klassische Skulptur machen kann, auch wenn mich das afrikanische Buschland sehr faszinierte. Ich hatte vielmehr das Gefühl – weil ich von Holger Bunk gehört hatte, dass es bereits einige Kooperationen mit der Schule im benachbarten Dorf gab –, dass ich dort vielleicht etwas machen könnte. Aber ich hatte absolut keine Ahnung, was das sein könnte.

F: Kanntest du Holger von früher?

T: Wir hatten uns mal getroffen, aber wirklich kennengelernt hatten wir einander nicht. Ich hörte mir seinen Vortrag über das Etaneno Museum im Busch an.

F: Er hat ja bei der Schule eine Bibliothek aufgebaut.

T: Auf dem Schulareal gab es ein Häuschen, das sich Bibliothek nannte, und das hat Holger mit anderen Künstlerinnen restauriert und mit einem Schriftzug bemalt. Gleichzeitig haben sie auch dafür gesorgt, dass da mehr Bücher reinkommen, dass die Bibliothek ein bisschen reichhaltiger wird. Den Betrieb hat die Schule organisiert. Das ist ein Projekt, das bereits bestand und nun durch die Unterstützung etwas besser funktioniert. Es gab auch ein paar andere Projekte. Der ehemalige Schulleiter wollte am Eingang der Schule ein repräsentatives Schild. Also haben sie dieses eigenartige Gebilde mit dem Türmchen gebaut und Holger hat das Schulwappen draufgemalt.

F: Du bist also in ein Umfeld gekommen, wo die Schule schon mit Künstlern Erfahrungen gemacht hatte. Du warst demnach nicht einfach ein weisser Künstler, der auf eine unvorbereitete Situation trifft. Sie hatten eine gewisse Offenheit dir und der Kunst gegenüber – oder wie war das?

T: Genau. Die neue Schulleiterin hatte schon einige Künstler-Projekte miterlebt und freute sich, dass wir wieder auftauchten. Das machte unser erstes Gespräch sehr einfach, denn es war bereits ein Vertrauen da, sodass ich sie fragen konnte, wie es an der Schule läuft, was gut ist, was schlecht ist und wo der Schuh drückt. Da erzählte sie mir, dass das Namibische Schulministerium von der Schule fordere, dass sie theoretisch und praktisch Agrikultur unterrichten müssen. Matilda beklagte sich, dass niemand wisse, wie das gehen soll und dass sie vom Schulministerium auch keine Hilfe, geschweige denn Lehrmaterial bekomme. Auf mein Nachfragen hin zeigte sie mir die gescheiterten praktischen Versuche mit dem Gärtnern auf dem Schulareal. Wegen meiner Affinität zu Gärten und zu Pflanzen habe ich dann über diese Probleme nachgedacht. So hat sich der Aufbau eines Schulgartens dann in meinem Hinterkopf festgesetzt.

F: Die Gartenidee entstand also aus einer realen Fragestellung der Schule heraus. Du bist dann darauf eingegangen und hast gemerkt, ein Schulgarten wäre etwas, das dich interessiert?

T: Ja, das ist einer der wichtigsten Punkte. Den Schulgarten aufzubauen war nicht meine Idee – es war die Forderung des Ministeriums und der Wunsch der Schule. Ich habe mich schon früher etwas mit Sesshaftigkeit und Nomadismus auseinandergesetzt, habe darüber gelesen, was da alles passiert ist, auch in der Kolonialgeschichte. Mit den Jahren wuchsen die Gedanken in meinem Kopf zusammen, dass bei diesem Rassenkonflikt nicht nur Schwarz und Weiss aufeinanderprallen, sondern auch nomadische Kultur und sesshafte Kultur und die jeweils damit verbundenen gegensätzlichen Moralvorstellungen, was gut, was schlecht ist und wie unterschiedlich sich die kulturellen Eigenheiten je nach Lebensformen ausbilden und sich unüberwindbar scheinende Schluchten auftun. – Konkret geht es in Kalkfeld auch um das Leben und Überleben in der Form von aufgezwungener Sesshaftigkeit. Die Schwarzen sind durch den Kolonialismus mehr oder weniger sesshaft gemacht geworden. Wenn du kein Land mehr hast, um mit dem Vieh umherzuziehen, ist der Ackerbau eine Möglichkeit, zu überleben. Der Nomade muss mit seiner Herde weiterziehen, damit seine Existenz nicht in Gefahr gerät. Wenn du bleibst, hast du Zeit zu pflanzen und zu giessen. Den Ansatz des Schulministeriums, dass ein Schulgarten sinnvoll wäre, habe ich daher total verstanden: Die Schüler sollten einen Zugang zur Agrikultur und zur Kultur der Sesshaftigkeit bekommen.

F: Wusstest du einfach so, wie man einen Schulgarten baut?

T: Als ich mir die Gartenversuche anschaute, stellte ich ein paar grundlegende Fehler fest: der fehlende Zaun, eine zu dünne Humusschicht, fehlende Dämme, um das Wasser zurückzuhalten usw. Mein Konzept war also, diese ersten, offensichtlichen Mängel zu beheben, das bestehende agrikulturelle Wissen im Dorf an die Schule zu knüpfen und mit allen zusammen etwas aufzubauen, das auch funktionieren kann, wenn ich dann wieder weg bin. Das Resultat meiner Suche nach Personen mit Gartenerfahrung in der Siedlung war sehr dürftig. Da war eigentlich nur Hilde Hoeses, eine Herero, die auf einer deutschstämmigen Farm aufgewachsen war. Sie hatte dort Deutsch und das Gärtnern gelernt und hat das auch bei ihrer Hütte im Township praktiziert. Das sah ich und sprach sie auf mein Projekt an. Sonst habe ich im Township kaum agrikulturelle Spuren finden können. Es gab einfache Verschläge für Kühe, überall liefen Ziegen, Schafe und Hühner rum, aber Pflanzen waren nur spärlich als Schattenbäume anzutreffen. Hilde war offen für meine Idee und hatte Freude, dass sie wieder einmal deutsch sprechen konnte. So hatten wir schnell einen guten Kontakt. Ich fragte sie, ob sie beim Aufbau des Schulgartens mithelfen möchte und ob die Schule bei Fragen zu ihr kommen dürfe. Sie stimmte zu. Dann fertigte ich Skizzen an und schaute, was ich selber an Material organisieren könnte. Ich recherchierte im Farmerbedarfsladen in Otjiwarongo die Preise, kalkulierte und fragte dann auch Alfonso Hüppi um finanzielle Mithilfe aus dem Kunstbudget-Topf an. So entstand mein Konzept, das ich der Schulleiterin vorstellte, was sie sehr freute. Sie war zuversichtlich, dass sie die notwendigen Helfer aus der Eltern- und Lehrerschaft zum Mitmachen motivieren könnte.

F: Das ging ja schnell – innerhalb von ein paar Tagen hast du das entwickelt.

T: Ja, es dauerte keine fünf Tage – ich hatte insgesamt ja auch nur vier Wochen Zeit.

F: Hat bei dieser Entscheidung die Frage nach Kunst eine Rolle gespielt oder war dir das egal? Wolltest du einfach etwas Sinnvolles tun?

T: Es war mir relativ egal, ob es Kunst ist oder nicht. Es schwang aber immer als Gedanke mit. Die Klärung dieses Gedankens war mir am Anfang absolut unwichtig. Es gab so einen Drive, es ging so schnell und es fühlte sich gut an.

F: Wie ein kleines Kind, das einen Bach staut: Es macht einfach Spass …

T: Es fühlte sich mit den Menschen gut an, es war total anstrengend in der Hitze und in diesem Ungleichgewicht. Ich wurde da ja komplett reingeschmissen, ich hatte ja überhaupt keine Erfahrung mit dem Unterrichten von Kindern, und dann noch an diesem Ort und alles in Englisch. Da bin ich komplett geschwommen, aber es fühlte sich gut an und es war freundlich, es war eine unglaublich offene Situation, und das hat mich getragen. Ich merkte, dass auch die Kinder ganz unsicher waren. Die haben kaum Kontakt mit weissen Menschen, weil sich kaum einer dorthin verirrt. Das hat mir auch gut getan, über eine gewisse Distanz waren wir uns doch nah.

F: Du warst ja quasi von Anfang an ein Experte, nur schon weil du weiss bist, eine Autoritätsperson und ein Fremder, den man zuerst beschnuppert.

T: Genau. Ich war sicher ein Stück weit so ein weisser Besserwisser, aber auch einer, dem man nicht unbedingt trauen kann – so etwas zwischen Respekt und Angst. Aber das spielte nicht so eine grosse Rolle, es gab immer wieder schöne Annäherungen, einfach über das Machen. Dadurch, dass ich mir Blasen an den Fingern holte, dass ich mit im Dreck wühlte. Wir haben da umgegraben, gejätet, geschwitzt, den Zaun gebaut und Wasserdämme angelegt um die bestehenden Zitronenbäume, die seit dem Bau der Missionsschule schon dort stehen. Wir haben einfach zusammen gearbeitet. Das hat eine enorme Nähe gebracht und die haben sich sicher auch gefragt, warum ich das überhaupt mache.

F: Es ist schon interessant: Du bist als Künstler dahin gegangen, in eine Schule – arbeitest aber plötzlich als Lehrer, als Sozialarbeiter und hast eigentlich keine Ahnung davon. Sind Künstler sensibler, sehen Künstler die Probleme anders, praktischer, oder bist du das einfach, mit deiner Art und deiner Herkunft?

T: Das ist schwierig zu sagen. Ich bin halt mit einem Garten aufgewachsen und habe von daher ein gewisses Wissen.

F: Deine Mutter war die Kompostexpertin vom Quartier, oder?

T: Meine Mutter hat in der halben Schweiz Vorträge über das Kompostieren gehalten. Sie ist Mitbegründerin der ersten selbstverwalteten Quartierkompostieranlage in St.Gallen, die später für viele weitere solcher Anlagen Modell stand. So bin ich als Kind einfach in dieses Gärtnern reingewachsen. Ich hatte einen Bezug zum Garten, so wie ein Nomadenjunge eine Ziege schlachten kann. Mir wurde das Kompostieren und Pflanzen quasi in die Wiege gelegt.

F: Du hast einen ganz einfachen, klaren, fast minimalistisch angeordneten Garten angelegt mit den Beeten und den Pfählen für das schützende Netzdach. Es ist eine ganz einfache Struktur. War dir das wichtig?

T: Beim Wort Schulgarten hatte ich ein ganz strukturiertes Bild im Kopf. Auch dachte ich, dass es gar nicht so viele Schulbeete geben muss, es geht um den praktischen Unterricht und nicht darum, alle Schüler zu ernähren. Aber mein zentraler Ansatz war, das Scheitern einzubeziehen. Der Garten sollte nach einem Garten aussehen, auch wenn die Saat mal nicht aufgehen oder die jungen Pflänzchen mal vertrocknen sollten. Deswegen galt ein grosser Teil meiner Aufmerksamkeit den bestehenden Zitronenbäumen und den Neuanpflanzungen von Obstbäumen und mehrjährigen Sträuchern, Blumen und Kräutern. So habe ich den grössten Teil des Schulgartenareals mit neuen, möglichst anspruchslosen mehrjährigen Pflanzen bestückt. Als zentrales Element konzipierte ich über die Schulbeete ein grünes Schattendach, das dem Garten eine stabile Architektur und dem Ort einen besonderen Wert verleiht, weniger wegen der Absorption des starken Sonnenlichts in Namibia. Damit war der Schulgarten bereits vor dem ersten Ansaat-Workshop üppig grün.
Aber du hast recht, meine Skizze hat so ein bisschen was von einem römischen Lager, auch wegen der Umrandung mit den Blumen- und Kräuterbeeten.

F: Bei einem Künstler würde man ja erwarten, dass er dann geschwungene Wege und fantasievolle Pflanzungen anlegt. Hat dich dieses Ausufern nicht interessiert?

T: Mir war in keiner Weise daran gelegen, die Anlage besonders kreativ zu gestalten oder in eine klassische künstlerische Form zu bringen. Ich wollte wirklich einen funktionierenden Schulgarten machen, wo man einfach unterrichten kann. Wenn etwas davon Kunst ist, ist es der Moment, in dem darin etwas gelehrt und gelernt wird. Dies sollte die Kunst sein, und nicht die Form der Beete.

F: Als ich die Fotos dieses Gartens anschaute, kam er mir vor wie eine Buchform oder wie Lehrtafeln. Es sind ganz einfache Felder, ähnlich wie man früher in Enzyklopädien Natur dargestellt hat. Dein Garten ist eine Art Layout – eigentlich eine Art Schaugarten. Aber die Natur ist so archaisch, dass sie dieses Bild auch immer wieder zerstört. Es hat mir gefallen, dass die Kürbisse alles überwuchert haben und über die Beete hinausgewachsen sind.

T: Schon nach einem halben Jahr waren diese Beete nicht mehr gross genug. Sie wurden dann von den Schülern mit den Lehrern irgendwie erweitert. Aber über die Jahre ist interessant zu sehen, wie sich der Kern des praktischen Unterrichts immer wieder unter das Schattendach zurückzieht.

F: Bereits bei deinem zweiten Besuch, drei Jahre später, entstand der Wunsch, dass der Garten mit einem neuen Obstgarten verdoppelt werden sollte und nach Schattenbäumen auf dem gesamten Schulgelände.

T: Ja – aber das Grösste war halt auch, dass die Schule es schaffte, diesen Garten durch all diese Widrigkeiten von Dürre, Schädlingen, Diebstahl usw. zu verteidigen. Oft regnet es in Namibia mehr als sechs Monate überhaupt nicht. Sie haben es trotzdem geschafft, den Garten am Leben zu erhalten – das war grossartig! Als ich drei Jahre nach der Eröffnung wiederkam, schickten mich Matilda und der neue Gartenkoordinator Mr. Mushabati voller Stolz ins Township, um die Veränderungen anzuschauen. Im ganzen Dorf waren kleine und grössere Gärten zu sehen. Überall wuchsen Mais, Tomaten, Blümchen usw. – die Schüler haben das Wissen des Gärtnerns nach Hause gebracht und eigene Gärtchen angelegt.

F: Meinst du, es waren die Eltern, die die Schüler animiert haben, oder waren es die Kinder, die zu Hause unbedingt auch einen Garten haben wollten?

T: Das Gärtnern in Kalkfeld schien wirklich hip geworden zu sein. Es gibt ja nicht viel, was da sonst entsteht, es gibt keine Arbeit, es gibt eigentlich fast nur traurige Geschichten. Das Erstaunlichste ist, dass da so tolle Kinder auf die Welt kommen. Es gibt einfach nichts, vieles zerfällt, und da schaffen es plötzlich die Schule und die Kinder, etwas an diesem Ort wachsen zu lassen. Es mag sein, dass dann viele fragten, he, was macht ihr da, wie geht das. Es gab sogar Leute, die Obst oder Gemüse aus dem Schulgarten klauten, was natürlich sehr ärgerlich war. Aber andererseits konnten die Lehrer und die Schüler darauf echt stolz sein, dass sie es geschafft hatten, etwas zu machen, das solche Begehrlichkeiten weckt. Bei meinem ersten Aufenthalt habe ich mit dem Geld, das ich noch hatte, der Schule tütenweise Samen gekauft und dagelassen. Für die Kinder, die bei der Gartenarbeit freiwillig mithalfen, hatte ich immer einen Snack dabei und als Lohn gab es Pflanzensamen.

F: Die Nachhaltigkeit dieses Projekts ist ja wirklich erstaunlich. Im Vortrag hast du gesagt, dass nachts immer Leute beim Garten sein müssen, um ihn vor Dieben zu schützen. Wer organisiert denn diese Ordnung um den Garten?

T: Das ist Matilda, die Schulleiterin. Sie ist eine tolle, klare Frau, die alles im Griff hat, die mit ihren Lehrern ganz klare Strukturen bespricht und durchzieht und dann eben halt jemanden organisiert, der in der Nacht den Garten hütet. Nachts, wenn es dunkel wird, entstehen die Probleme, gerade auch in Zusammenhang mit Alkohol. Ich habe im Dunkeln Kalkfeld immer verlassen.

F: Du hast über die grosse Armut gesprochen und dass Kinder ohne Eltern leben, weil die Eltern auf einer entfernten Farm arbeiten müssen oder weil sie keine Eltern mehr haben. Dass dadurch die Schule für viele Kinder das einzige soziale Gefüge ist, zu dem sie gehören und wo sie zumindest einmal am Tag etwas Warmes zu essen kriegen.

T: Einige Kinder, die ich kennengelernt habe und die in der Zwischenzeit die Schule verlassen mussten, haben mir gesagt, dass ihre schönste Zeit die Kindheit gewesen sei, als sie zur Schule gehen konnten. Von ihren 348 Kindern an der Primary School waren 2014 292 Kinder ohne geregelte Verhältnisse, hat mir Matilda erzählt. Das heisst nicht, dass alle komplett auf sich gestellt sind, aber halt einfach, dass die Verhältnisse ziemlich aus dem Ruder laufen. Es gibt Alkohol- und Drogenprobleme, viele Aids-Waisen, oder eben, die Eltern arbeiten auf Farmen. Das Land ist ja sehr dünn besiedelt, die Farmen sind riesig, oft sehr weit von den Ortschaften entfernt und die Löhne für Farmarbeiter sind so extrem gering, dass man sich davon keinen Führerschein, geschweige denn ein Auto leisten kann, um seine Kinder zur Schule fahren zu können. Das ist eine traurige Geschichte, dass die, die arbeiten und sich bemühen, einfach weg sind – sie fehlen natürlich.

F: Du hast erzählt, dass du am Anfang den Farmer um Material und Werkzeug gebeten hast zur Unterstützung des Projekts und er dir nichts geben wollte, weil sowieso alles geklaut werde. Er meinte auch, dass sowieso alles kaputt geht, wenn du nicht mehr da bist. Hat sich dieser Mann später überzeugen lassen?

T: Ja, er hat mir tatsächlich abgeraten, in Kalkfeld etwas zu machen, weil es dort nur drunter und drüber gehe mit den Leuten. Das Projekt sei Sozialromantik, er gebe dem Projekt keine Chance. Bei meinem zweiten Besuch hat er mitgekriegt, dass das Projekt noch läuft und hat gestaunt. Der Farmer hat mir dann Werkzeug mitgegeben, allerdings mit viel Nachdruck, dass das wieder zurückgebracht werden müsse, was ja auch logisch ist. Es hat sich nun auch bei den umliegenden Farmern positiv herumgesprochen, dass es diese Schule schafft, seit mittlerweile über sieben Jahren diesen Garten aufrechtzuerhalten.

F: Wurde Kunst irgendwann in diesen sieben Jahren in der Schule je ein Thema, oder die Rolle des Künstlers?

T: Nein, das war nie ein Thema, sie fragten mich bisher noch nicht, warum ich das mache. Es ist mir kein grosses Anliegen, mit den Lehrern oder Kindern über Kunst zu diskutieren. Unser Thema ist der Garten.

F: Was ist für dich der Erkenntnisgewinn? Kunst macht man ja unter anderem auch, um etwas herauszufinden oder etwas entstehen zu lassen. Was kommt bei dir zurück?

T: Das Arbeiten dort ist eine unmittelbare Herausforderung. Es macht mir total Spass, wenn ich die Kinder erlebe, die mich nach Jahren noch kennen, wenn ich mit ihnen arbeite und sehe, wie das alles weitergeht. Das ist zuallererst einfach pure Freude. Schon vor etwa 15 Jahren hat es mich mit der Kunst nach draussen verschlagen, sodass ich immer mit Orten oder Gebäuden, mit Räumen konfrontiert werde und dafür künstlerische Konzepte entwickle. Dadurch, dass die Räume und Situationen immer wieder anders sind, entwickle ich immer wieder neue Herangehensweisen. Ich merke, dass jeder Raum von mir einen neuen Umgang fordert. Es gibt halt einfach Orte, wo du keinen sozialen Prozess in Gang setzen kannst. Dann gibt es Orte, wo es hirnrissig ist, eine Skulptur hinzustellen. Über diese Geschichten bin ich eigentlich zu meinen skulpturalen Fragen gekommen. Zur Frage, was wo Sinn macht, was wo Skulptur ist, was wo Kunst ist. Und so ist dieser Garten auch immer mehr in diesen Fokus gerückt. Was ist er jetzt eigentlich, was daran ist jetzt Kunst? Ist es das Formale, ist es der Prozess, oder was ist gerade nicht Kunst oder worin unterscheidet der Garten sich von einem normalen Selbsthilfeprojekt oder von einem Entwicklungshilfeprojekt?

F: Du bist ja nicht der typische Künstler, der seine Arbeit macht und dann in Galerien ausstellt, sondern du arbeitest sehr oft so, dass du auf Räume reagierst oder dich auch mit dem öffentlichen Raum auseinandersetzt, dass du dich an Wettbewerben beteiligst und zum Glück einige gewonnen hast und einige wirklich interessante Arbeiten realisieren konntest. Ist es bei dir so, dass sich die Arbeiten gegenseitig bedingen? Hat das Gartenprojekt in Namibia auch deine Arbeit im öffentlichen Raum in Europa beeinflusst?

T: Ich glaube schon. Es hat vor allen Dingen mein Denken extrem aufgemacht und ich habe auch gemerkt, dass es als Künstler durchaus nicht immer so einfach ist, in dieser Kunstlandschaft zu stehen und davon zu leben. Ich habe diese scheinbare Forderung, eine gewisse Handschrift zu haben, über den Haufen geworfen und es war mir irgendwann total egal, ob ich eine Linie habe. Ich habe gemerkt, dass mich Kunst nur interessiert an Orten, wo sie Sinn macht. Das hinterlässt dann vielleicht eine künstlerische Handschrift hinter mir – als Spur.

F: Diese Frage stellt sich ja auch in der Architektur, wo viele Architekturbüros, auch weltberühmte, nicht mehr an einem eigenen Stil arbeiten, sondern die Qualität darin sehen, das Richtige zu machen am gefragten Ort. Hat dieser Umgang mit dem Ort bei deinem Projekt mit den Kindern und der Bevölkerung von Kalkfeld deine Empfindung sensibilisiert? Gibt dir das, was daraus gewachsen ist, Hoffnung?

T: Es ist halt so ein unglaublich sensibler Ort, um dort Kunst zu machen. Das hat bei mir viele Fragen ausgelöst. Ich war sehr unsicher bei dem, was ich da tat. Warum ich mir das herausnehme zu meinen, ich tue da etwas Gutes. Da ist sicher eine Sensibilität für einen Ort und für die Menschen, die da leben – und wo ich versuche zu helfen. Ich mache einen Garten in Afrika, in diesem heissen Klima, und wer giesst denn diesen Garten das ganze Jahr? Das bin nicht ich. Deshalb war ich mir schon sehr unsicher, ob ich als Künstler das einfach so anlegen kann.

F: Ich finde es interessant: Man könnte dich ja als einen Schüler von Josef Beuys bezeichnen, und er hat von der sozialen Plastik geredet und das Thema theoretisch umrissen. Du machst ähnlich wie Thomas Hirschhorn plötzlich Arbeiten vor Ort, mit einer ganz realen, sozialen Umgebung und mit Menschen. Bei Hirschhorn ist es nochmals etwas anders, weil er zum Beispiel Kunstwerke durch Randständige aufbauen lässt. Bei dir stehen der Mensch und die Natur im Mittelpunkt. So wie ich es verstehe, gibst du eine klare Struktur vor, aber dann lässt du es weiterwachsen. Vielleicht ist das die Stärke deiner Arbeit, dass du das Wachsen zulässt und dass man merkt: Das ist genauso der Garten der Kinder und der Schule, wie es dein Garten ist. Für dich ist es ein Projekt – aber für die Menschen vor Ort ist es ein Teil ihres Lebens geworden.

T: Ja, die Theorie der sozialen Plastik von Beuys hat mich immer umgetrieben. Ich habe viel gelesen darüber, aber ehrlich gesagt habe ich das auch nie so richtig verstanden. Ich hab versucht, mir selber ein Bild davon zu machen, was das sein soll. Ein bisschen was hab ich gefunden – in den 7000 Eichen von Beuys – und das meine ich auch zu verstehen. Sonst ist mir das zu theoretisch geblieben. Über das Schulgartenprojekt oder schon vorher mit dem Brunnenprojekt hab ich den Einstieg gefunden, eine Umsetzung dieser Idee – was kann denn für mich eine soziale Skulptur sein? Was macht das aus, wo ist das? Gerade bei meinem Garten in Afrika wird klar, dass die Kunst hier wirklich nicht in der Anlage des Gartens, im Raster und auch nicht im Schattendach, nicht in der Architektur, nicht im Sichtbaren liegt, sondern wir verlassen das Sichtbare und suchen die Kunst an anderer Stelle. Da bin ich mir ganz sicher, wenn das da eine Skulptur ist, dann ist sie nicht sichtbar. Und mittlerweile kann ich schon sagen, dass der Garten eine sozial engagierte Plastik ist, meine persönliche Interpretation des von Beuys erweiterten Kunstbegriffs.

F: Es ist interessant, dass das Projekt nach sieben Jahren noch läuft und die Schulleiterin findet, sie müsse dringend eine Unterkunft für die Kinder haben, damit sie auch in der Nacht einen sicheren Ort haben. Das Projekt scheint sich ja wie von selbst weiterzutreiben. So ist es aus einem ganz kleinen zarten, pflanzlichen Anfang weitergegangen und zeigt auch immer mehr die Probleme dieses Ortes und der Menschen dieser Region. Es zeigt sich, dass hier mit wenig finanziellen Mitteln viel bewirkt werden kann. Wie siehst du das: Müssen wir in der Kunst mehr Entwicklungshilfe leisten? Müsste man die Sammler dazu anhalten, in solche Kunst zu investieren? Sollte gezeigt werden, dass es auch andere Möglichkeiten gibt, Kunst zu machen?

T: Ja, ich denke schon, dass sich so, wie sich die Kunst erweitert, auch die Art und Weise des Sammelns weiterentwickeln sollte. Aber Entwicklungshilfe ist ja hüben wie drüben ein Problem, es funktioniert ja irgendwie nicht. Die grosse Frage ist, wer denn von wem entwickelt werden will – eine gewisse Überheblichkeit schwingt da immer mit. Was mir an meinem Schulgartenprojekt gefällt, ist, wie sich das jetzt über sieben Jahre entwickelt hat. Wer hat schon diese Zeit! Es ist so, wie du gesagt hast: Aus einem kleinen Pflänzchen entwickelt sich jetzt ein langsames Sich-Annähern. Es ist ein Geben und ein Fragen. Vertrauen entwickelt sich und es ist halt nicht so, dass ich gesagt habe, das braucht ihr. Ich bin nicht mit der Idee hingegangen, ihr braucht was. Ich habe da etwas aufgenommen, was da gewollt und gefordert wurde. Nun hat sich das so entwickelt und jetzt kommen weitere Anliegen: „Wir bräuchten jetzt ein Heim für die Kinder, wir bräuchten Klassenräume usw.“ Und das ganze Elend wird sichtbar. Jetzt ist es natürlich sehr spannend, wohin das alles noch führen kann.

F: Wenn man das jetzt als künstlerischen Prozess anerkennt, könnte man ja sagen, dass vielleicht nur die Kunst die Zeit oder die Möglichkeit hat, so einen Prozess auch zuzulassen und entwickeln zu lassen. Oft scheitern Projekte daran, weil man schon im Voraus eine fixe Idee hat; bei dir hingegen war es eher ein Wunsch, etwas Sinnvolles vor Ort zu tun. Du hattest auch nicht das Ziel, den grössten künstlerischen Nutzen aus der Situation zu ziehen. Du wolltest einfach einen Garten anlegen, der gefordert bzw. gewünscht wurde. Der Garten selber kann sich in einer prozesshaften Weise weiterentwickeln. Durch diesen Garten werden aber plötzlich auch gesellschaftliche Probleme sichtbar und das Projekt stärkt den Mut der Schulleitung, diese Probleme zu benennen, zu enttabuisieren und nach aussen zu tragen. Die Kunst als Instrument für Lernprozesse und für gesellschaftliche Veränderungsprozesse, das ist doch eine schöne Sache. Denkst du, dass du regelmässig wieder nach Kalkfeld gehst in Zukunft?

T: Ich suche immer wieder Möglichkeiten, dahinzukommen, weil sich so vieles entwickelt hat und weil ich es gerne mache. Es macht mir Freude, auch weil ich immer wieder gute Rückmeldungen bekomme von dort. Ich bin dort gerne gesehen und wenn ich es irgendwie auf die Beine stellen kann, werde ich es tun, aber ich muss neue Wege finden, wie ich das finanzieren kann. Das Projekt mit dem Museum im Busch auf der Etaneno Farm geht langsam zu Ende. Ehrlich gesagt gibt es schon so ein paar Ideen, Wünsche, es sind eigentlich grosse Visionen.

F: Du bist nicht der Regenmacher von Kalkfeld, sondern der Gartenmacher.

T: Es scheint ja auch absurd, auf diesem dürren Flecken in Afrika einen Garten anzupflanzen. Aber in der Grösse, wie er angelegt ist und wo so viele Kinder davon profitieren können, macht es schon Sinn.

F: Mir hat gestern bei deinem Vortrag das Schlussbild gefallen, das gezeigt hat, dass alle Kinder am Ende des Schuljahres drei Zitronen mit nach Hause nehmen durften. Das müssen ja etwa 1000 Zitronen gewesen sein. Es ist etwas Wunderbares, wenn Kinder nicht nur die Noten mit nach Hause nehmen, sondern auch noch einen Teil der Ernte.

Erschienen 2015 in der Publikation Kunst und Bau Nummer 4, Vexer Verlag St.Gallen