Kreuzblütler

Markus Heinzelmann, 2003

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Thomas Stricker hat es sich zum Ziel gesetzt, anlässlich der Skulptur Biennale Münsterland eine außergewöhnliche Landmarke in die Felder südlich der Stromberger Höhe im Kreis Beckum zu pflanzen. Im Mai 2004 soll für etwa drei Wochen ein riesiges, gelb leuchtendes Kreuz entstehen, das von der Blüte unzähliger Rapspflanzen gebildet wird. Der Raps soll so in die nahtlos kultivierte Agrarlandschaft ausgebracht werden, dass seine Saat die Äcker von vier ansässigen Bauern durchschneidet. Das geplante Andreaskreuz besitzt eine Länge von 750 m und eine jeweilige Schragenbreite von 125m. Stricker spielt mit seinem Projekt auf die Geschichte des Stromberger Kreuzes an, das in der „Wallfahrtskirche zum Heiligen Kreuz” aufbewahrt und verehrt wird. Das Gnadenbild, dessen Holzkern in die Jahre 1080-1100 datiert, wurde in den vergangenen vierhundert Jahren insgesamt drei mal gestohlen, aber jedes Mal wieder aufgefunden und erneuert. Der erhöhte Standpunkt der Kirche auf dem Burgberg ist zugleich der ideale Ort, um das Rapskreuz in der abfallenden Landschaft am besten erkennen betrachten zu können.

Ohne das „Wunder von Stromberg”, die abermalige Wiederkunft des Kreuzes und seine Verehrung durch die ansässige Bevölkerung, wäre der Erfolg der sozialen Plastik undenkbar, die den Kern von Strickers Arbeit bildet. Dabei spielt weniger der geläufige Symbolgehalt des Kreuzes eine Rolle als die Alltäglichkeit und vertraute Nähe des Wunders selbst. Das Kreuz – sagt die von Legenden genährte und durch den nicht versiegenden Strom der Pilger am Leben gehaltene Erfahrung der Anwohner – besitzt nicht nur eine symbolische, sondern auch eine reale gestaltende und organisierende Kraft. In einem abgezirkelten Rapsfeld kann sie genauso zur Geltung kommen wie in einer feierlichen Versammlung oder einem kunstvoll geschnitzten und versilberten Holzstück. Der Titel der Arbeit „blüht es oder blüht es nicht?” verweist bereits darauf, dass Strickers Projekt ursprünglich nur äußerst geringe Chancen auf Verwirklichung besaß. Wenn unterdessen tatsächlich alle beteiligten Bauern der Realisierung des Kreuzes auf ihrem Besitz zugestimmt haben, die Landwirtschaftskammer die entscheidenden bürokratischen Hilfestellungen geleistet und der Pfarrer der Heiligkreuzkirche seinen Segen zu dem Vorhaben gegeben hat, dann darf das nicht darüber hinweg täuschen, dass dieser anfangs eher unerwartete, positive Verlauf des sozialen Prozesses nur eine mögliche Form der Realisierung der Arbeit darstellt. Das Scheitern des Kreuzes wäre nicht gleichbedeutend mit dem Scheitern der Arbeit gewesen. Es hätte allerdings zu einer anderen Form der Präsentation geführt: Zu einer Dokumentation des Desinteresses, der Sprachlosigkeit und des Streites vielleicht oder zur Loslösung des Künstlers vom realen sozialen und topografischen Kontext und der Weiterführung des Werks im fiktionalen, fantastischen Rahmen.

Die Größe des Vorhabens liegt also weniger in der ungewöhnlichen geografischen Dimension, die an klassische Land Art-Projekte erinnert, als in seiner sozialen Ausdehnung. Wäre Stricker in erster Linie an diesem Aspekt interessiert, hätte er eine beliebige Freifläche im Kreis Warendorf pachten und seine Landmarke dort ohne großen Widerstand platzieren können. Auch Christos Antichambrieren in der großen Politik und seine Vorliebe für städtebaulich herausragende Monumentalbauten wie Pont Neuf in Paris oder den Reichstag in Berlin wirken mit ihren selbstgefälligen diplomatischen Begleitoffensiven geradezu grotesk neben den mühsamen Fahrten von Hof zu Hof, die Stricker immer wieder unternehmen musste, um die einzelnen Bauern zu überzeugen. Das „Unmögliche möglich zu machen”, ist daher in „blüht es oder blüht es nicht?” kein bloßer Selbstzweck zur Demonstration genuin künstlerischer Potenzen, sondern ein zusätzliches Mittel, um den vielschichtigen sozialen Prozess zu befeuern. Es geht Stricker nicht darum, als ‚lonesome Cowboy‘ eine ästhetische Vision gegen vielerlei äußere Widerstände zu realisieren, sondern das Ästhetische im Sozialen zu beschreiben. Der Künstler hat sich mit seiner Initiative vollständig den beteiligten Personen ausgeliefert: Nur das Engagement aller und ihre Bereitschaft, das benötigte Land zur Verfügung zu stellen, führen auch zu einem äußerlich sichtbaren Werk.

Das eigentliche Wunder fand daher auch in der spontanen und grundsätzlichen Zustimmung fast aller Beteiligten statt, das Kreuz zu realisieren. Dabei bildete sich aus einer Vielzahl von Bauern langsam eine Gruppe von Teilnehmern, deren Äcker so günstig miteinander verbunden waren, dass sie für die Umsetzung des Projektes in Betracht kamen. Die stumpfsinnige Diskussion um die Frage, ob das Vorhaben überhaupt als künstlerische Äußerung Ernst genommen werden könne, die bisweilen Großprojekte im öffentlichen Raum bis zur Unkenntlichkeit entstellt, hat in Stromberg zu keinem Zeitpunkt eine Rolle gespielt. Die Einwände waren vielmehr pragmatischer Natur und betrafen die mangelnde Einhaltung von Fruchtfolgen oder drohende Ernteausfälle. Der eine Bauer benötigt den Mais, der auf der vorgesehenen Fläche angebaut wird, als Futtermittel für sein Vieh. Der andere muss Weizen anbauen, um seine Brennrechte auszuschöpfen. Das Vorhaben an sich aber hat niemand in Frage gestellt. Dies liegt vor allem an Strickers Umgang mit den künstlerischen Mitteln im Sinne einer ortsspezifischen Skulptur. Sein Verständnis von Ortsbezug schließt die sozialen, ökonomischen, historischen und kulturellen Faktoren des skulpturalen Feldes ein. Das heißt, der Künstler erarbeitet mit der Bevölkerung, im Wissen um ihre persönlichen Geschichten und vor allem mit ihren spezifischen Mitteln, den Techniken und Kenntnissen des Landbaus, eine Plastik. Die Anwohner bilden die entscheidende Instanz bei der Realisierung der konkreten Arbeit, nicht die Organisatoren der Biennale, nicht der Künstler und auch nicht die städtische Bevölkerung Warendorfs. „blüht es oder blüht es nicht?” ist daher viel weniger mystisch oder pseudochristlich, als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Die Arbeit erweist sich vielmehr als äußerst konkret und sachlich. Sie folgt so sehr pragmatischen Überlegungen, dass sie im Jahr der Eröffnung der Skulptur Biennale Münsterland 2003 nicht zu sehen sein wird: Nachdem die langwierigen meinungsbildenden und bürokratischen Prozesse abgeschlossen sind, kann der Raps im späten August diesen Jahres ausgebracht werden und wird erst im kommenden Frühjahr für kurze drei Wochen blühen. Dieser Umstand fokussiert die Rezeption noch stärker auf die reinen Vorstellungskräfte und vor allem auf die soziale Dynamik, die das Projekt trägt.

Zur sozialen Skulptur gehört, vor allem wenn sie an einen bestimmten Ort und seine Bewohner geknüpft ist, auch soziale Verantwortung. Wäre Christos Verhüllung des Berliner Reichstages seinerzeit am negativen Votum des Bundestages gescheitert, hätte es keine nennenswerten, mit einem persönlichen Schicksal verknüpften Verwerfungen gegeben. Die Stimmungsbilder aus der Bevölkerung blieben letztlich so beliebig wie die Voten der einzelnen Volksvertreter, die in der Anonymität der beiden großen Stimmblöcke ihren individuelle Standpunkt einbüßten. Thomas Stricker dagegen fand sich in der schwierigen Situation wieder, dass trotz breiter Zustimmung zu seinem Projekt eine Minderheit aufgrund privater Zwistigkeiten und einem tief sitzenden Misstrauen gegenüber bürokratischen Hindernissen die Realisation des Kreuzes ablehnte. Vor diesem Hintergrund wird besonders deutlich, dass man eine soziale Plastik nicht einfach abbrechen und beenden kann, so wie es möglich wäre, die Errichtung einer herkömmlichen Skulptur zu stoppen. Der Künstler hätte mit seinem Rückzug aus dem Projekt riskiert, dass man die skeptische Minderheit zum Sündenbock macht, die nicht nur die bereits bestehenden Streitigkeiten hätte aushalten müssen, sondern darüber hinaus für das Scheitern des von der gesamten Region gewünschten Projektes verantwortlich gemacht worden wäre. Dass Thomas Stricker diesen riskanten Prozess erfolgreich moderiert und mit „blüht es oder blüht es nicht?” einen sozialen Bezugsrahmen geschaffen hat, der eine Perspektive in die Zukunft öffnet, beschreibt daher auch den eigentlichen ästhetischen Kern seiner Arbeit. Wenn im kommenden Jahr der Raps auf den Feldern steht, wird es ein großes Bauernfest auf dem Burgberg geben, bei dem alle Beteiligten gemeinsam das Blütenkreuz und ihren Anteil an der Realisierung der Arbeit feiern werden.