Der Künstler Thomas Stricker dreht die Welt, stellt sie auf den Kopf, er bewegt sich selbst und bringt das Denken in Bewegung. Mit seiner zweiteiligen sozial-engagierten Skulptur «handcherom / on the other hand» involvierte er das Publikum der Kulturlandsgemeinde in ein Projekt, das nicht nur Hier, im Sportzentrum Herisau, sondern immer auch Dort, in einem Garten einer Primarschule in Kalkfeld stattfindet.
Ein Arbeitsaufenthalt hatte Thomas Stricker 2007 nach Namibia und in die Schule im Township Kalkfeld geführt. Zusammen mit Lehrkräften, Schülerinnen und Schülern hat er den Aufbau eines Schulgartens an die Hand genommen. Seither reist er alle zwei bis drei Jahre nach Kalkfeld, pflanzt und motiviert, giesst und repariert, und arbeitet ein Stück weiter an dieser grossen sozialen Plastik. An der Kulturlandsgemeinde hat er das Schulgarten-Projekt zum einen vorgestellt und zum anderen weiterentwickelt.
Unter dem Schriftzug am Eingang des Sportzentrums Herisau steht die Beschriftung «Primary School Kalkfeld» Kopf. Ausgestellte Fotografien fordern zu einem Perspektivenwechsel auf: Mal sind die Appenzeller Motive auf den Kopf gestellt, mal jene aus dem namibischen Kalkfeld. (Visuelle) Verwandtschaften werden offensichtlich und betonen das (mögliche) Miteinander.
Die Besucherinnen und Besucher der Kulturlandsgemeinde wurden eingeladen, selbst Teil dieses nachhaltigen Gartenprojektes zu werden. Sie konnten aus einem breiten Angebot unterschiedlichster Pflanzen auswählen, diese erwerben, nach Hause nehmen und im eigenen Garten einpflanzen. Alle Pflanzen waren mit einem Etikett beschriftet, das auf die weltumspannende Dimension des Projektes verwies. Der Erlös aus dem Verkauf der Pflanzen in Herisau wird in einem zweiten Schritt reinvestiert in die Weiterentwicklung und Pflege des Schulgartens in Kalkfeld.
Als wir Sie angefragt haben, wussten Sie sehr schnell, dass Sie mit dieser Arbeit an die Kulturlandsgemeinde kommen wollten. Warum?
Beim Nachdenken über den Titel war mir bald klar, dass ich beim Thema Optimierung die Kulturlandgemeinde selber optimieren möchte. Ich wollte die Möglichkeit der Mitwirkung dazu nutzen, etwas Langfristiges auszulösen und aus einem Wochenende einen nachhaltigen Prozess in Gang zu setzen. Es sollte mit dem Schulgarten zu tun haben. Bis aber klar war, wie und was das konkret bedeuten könnte, brauchte eine Weile.
Wie war das Echo, wie haben die Leute an der Kulturlandsgemeinde reagiert?
Mit der visuell einfachen, fast kindlichen Skizze auf der Etikette war die Idee mit der Partnerpflanze gut verständlich. Die Leute haben sehr positiv und offen reagiert. Sie haben sich gefreut, dass sie nicht einfach angefragt wurden, etwas zu unterstützen, sondern dass sie an einem Projekt teilhaben können. Sie haben sofort verstanden, wie und dass es funktioniert. Ich hoffe, dass die Leute, wenn sie die Pflanze in ihrem Garten sehen, sich daran erinnern und diese als Teil eines grösseren Projekts wahrnehmen.
Die Besucherinnen und Besucher zeigten ein grosses Interesse am Projekt «handcherom / on the other hand». Was waren ihre Fragen?
Meistens ging es ganz konkret um den Schulgarten in Kalkfeld und wie sich das Projekt ergeben und entwickelt hat. Es ging primär ums Erzählen. Die Gespräche drehten sich auch darum, was das Projekt mit Kunst zu tun hat – oder möglicherweise habe vielmehr ich mir die Frage gestellt, und weniger die Leute.
Und: Wo oder was ist die Kunst im Projekt?
Für mich ist die Kunst immer an verschiedenen Orten, sie kann passieren. Es geht meist um Momente der Kunst, die geschehen. Die sind manchmal unsichtbar, manchmal sichtbar. Sie können sich in einem Detail von Gartenarchitektur zeigen, oder sie zeigen sich darin, dass und wie da unterrichtet wird. Im Projekt «handcherom» zeigt sich die Kunst vielleicht im gekauften Pflänzchen der Leute. Im Moment, in dem sie es pflanzen oder wachsen sehen, und sich dann erinnern, dass es Teil eines Ganzen, eines weltumspannenden Gartens ist. In solchen Momenten wird die Skulptur sichtbar.
Wie viele Pflanzen haben Sie eingekauft, wie viele verkauft?
Um die 50 Pflanzen habe ich gekauft und etwa 60 verkauft. Die wundersame Vermehrung hat sich durch Pflänzchen aus der Küche und der Tischdekoration ergeben. Am Schluss hatte ich nicht genug Pflanzen, die Leute hätten noch mehr kaufen wollen. Im Endeffekt habe ich aus der anfänglichen Idee, die Kulturlandsgemeinde zu optimieren, auch mein bestehendes Projekt optimiert. Aus dem Schulgarten in Namibia ist eine viel grössere Arbeit geworden. Obwohl ich es darauf angelegt hatte, habe ich erst während der Kulturlandsgemeinde im Gespräch mit den Besuchenden realisiert, dass das Projekt überall wachsen kann, dass übers Appenzellerland und Namibia hinaus dazu etwas entstehen kann. Das hat ein gutes Gefühl gegeben.
Wie geht es weiter?
Der Teil «Nord» in Herisau ist realisiert. Im kommenden Herbst folgt die Reaktion, der Teil «Süd». Dann wird mit den Geldern aus dem Verkauf der Pflanzen an der Kulturlandsgemeinde der Schulgarten in Kalkfeld gepflegt, ergänzt, optimiert. Im Obstgarten braucht es neue Pflanzen, weiter ist ein grosses Gartenupdate fällig. Und es stehen zwei grössere infrastrukturelle Vorhaben an: Das Speichern von Regenwasser und die Einrichtung eines Sportplatzes. Wichtig ist, dass dies professionell gemacht wird. Beim Gärtnern habe ich aus meiner eigenen Biografie ein gewisses Knowhow, nicht aber mit Wasserspeichern, da bin ich im Kontakt mit Fachleuten, die diesbezüglich mehr Erfahrung haben.
An der Kulturlandsgemeinde haben Sie das Gartenprojekt in Kalkfeld anschaulich vermittelt. Wie kann in der nächsten Phase in Namibia verständlich erzählt werden, was in Herisau passiert ist?
Bisher war es nicht wichtig, woher ich komme, ob das Kunst ist oder nicht. Das muss auch in Zukunft nicht wichtig sein. Wichtiger finde ich, dass es nun Partnerpflanzen gibt auf der Welt, das ist eine andere Dimension, und die möchte ich den Kindern vermitteln. In dem einfachen Bild, in dem mal die eine und dann die andere Seite oben ist, zeigt sich das Wunder, dass man nie von der Welt fällt. Oder die Tatsache, dass in dieser Skulptur die Pflanzenwurzeln in der Schweiz und in Namibia im Erdinnern einander entgegenwachsen. Diese Bilder werde ich mitnehmen. So kann ich in einer mir angenehmen Weise und sinnfällig vermitteln, was in Herisau passiert ist. Woher ich persönlich komme, ist nicht wichtig, aber die Verbundenheit mit der Welt in dieser Form zu zeigen, ist etwas Anderes.
Wie sind Sie zufrieden mit dem Ergebnis, den Reaktionen?
Ich bin sehr glücklich nach Hause gegangen. Glücklich über die Reaktionen, wie das Projekt gewachsen ist und wie es stimmiger wurde. Es ist weniger eingleisig, es ist nicht nur ein Geldfluss von Norden in den Süden, sondern es ist runder. Und es wird komplexer und einfacher zugleich. Schön wäre es, wenn ich später noch Reaktionen und Bilder bekomme, die etwas über die Weiterentwicklung der an der Kulturlandsgemeinde verkauften Pflanzen und damit des Projekts erzählen. Für die Leute hat die Erfahrung, Teil einer sozialen Skulptur zu sein, eine Wertigkeit bekommen.
Thomas Stricker, 1962 in St.Gallen geboren, studierte von 1986 bis 1993 an der Kunstakademie Düsseldorf, wo er seither lebt. Diverse Arbeitsaufenthalte führten ihn unter anderem in die Mongolei, auf die Azoren, nach Australien, Afrika, Mexico, China. Durch seine Auseinandersetzung mit den unterschiedlichsten öffentlichen, landschaftlichen und sozialen Räumen bewegt er sich mit seiner bildhauerischen Arbeit in einem weiten Feld von klassischen Bildwelten und materieller Skulptur, über konzeptionelle und kommunikative Prozesse bis hin zu unsichtbarer sozialer und sozial engagierter Plastik.
Über die Weiterentwicklung des Projektes werden wir auf www.kulturlandsgemeinde.ch berichten.