U-Bahnhof Benrather Straße
„Ist nicht der Augenblick der größte, in dem der Mensch die Weite erfährt? (…) den zeitlosen Augenblick, die paradiesische Wirklichkeit erlebt, den freien Raum zu durchmessen – dieser Mensch hat das Paradies in sich.“
Otto Piene, Wege ins Paradies, in: Ders. und Heinz Mack (Hg.), ZERO 1, 2, 3, zusammenfassender Neudruck, Köln 1973, S. 146.
Wo wir sind, wo wir uns befinden und aufhalten können, ist für Thomas Stricker durchaus verhandelbar: Er hat bereits künstliche Inseln angelegt, Meteoriten auf einen Baum fallen lassen und holt nun den Himmel auf die Erde. Nein, eigentlich geht er noch einen Schritt weiter: Er holt das Weltall unter die Erde.
Man hat, wenn man mit der U-Bahn an der Benrather Straße fahren oder ankommen möchte, nun keine Wahl mehr, als durch ein Raumschiff zu gehen. Ein Raumschiff, dessen Wände und Decke edelstahlverkleidet sind: querrechteckige, silberfarbene Platten, aus denen Punkte als vertikale Linien getrieben wurden. Diese Punkte können an Blindenschrift genauso erinnern wie an einen tropfenden Code oder das technoide und modularisierte Innere von Raumschiffen, wie wir sie aus Star Wars oder Raumschiff Enterprise kennen.
Doch wo wir uns wirklich befinden, wird vor allem durch die sechs Monitorwände infrage gestellt: So angeordnet, dass alle Eingänge auf sie zulaufen, öffnen sie die Erde ins All. Man gleitet durch eine reale Simulation des Weltalls, passiert Planeten und Monde, kann durch das gleißende Streulicht der Sterne Krater und Hügel erkennen.
Gefüttert mit Bildern und Texturen der ESA und NASA hat Stricker in Zusammenarbeit mit der Kölner Medienkunstagentur 235 Media die Projektion als eine durchgehende Fahrt konzipiert, die Monitore sind synchron: Blickt man vor einem Bildschirmstehend zum nächsten, ist es, als ob man aus dem Beifahrerfenster sieht: Der Komet, der eben noch vor einem erschienen ist, fliegt nun rechts vorbei, der Raum ist Teil einer 3D-Animation, die logisch das ‚Schiff’ umschließt.
Es gibt sogar ein Cockpit: Die enge Zusammenarbeit mit den netzwerkarchitekten ließ es möglich werden, dass schräggestellte Säulen und Fenster den Blick auf die untere Ebene frei geben; und man muss, wenn man wieder auf eine Vielzahl silberner Module blickt, sich kurz vergegenwärtigen, dass die abfahrende U-Bahn kein Shuttle ist, das gerade den Hangar verlässt.
Nach seinem Skulpturbegriff gefragt, sagte der Bildhauer Stricker in einem Interview: „Vielleicht ist eine Skulptur, im besten Fall, ein Ding, welches mir nicht die Sicht versperrt, sondern meinen Horizont erweitert?“ Diese Erweiterung, die Weitung und Bewegung des limitierten U-Bahnraumes ist in der Benrather Straße unmittelbar erfahrbar. Sie knüpft an die Utopie der Eroberung des Weltraumes an, die bereits von den Düsseldorfer Zero-Künstlern als Legitimation einer neuen Dimensionalität ihrer Kunst erfahren wurde.
Von Stricker wird sie als quasimeditative Raummetapher verstanden: Sein ‚Schiff’ wird dominiert von Öffnungen, überdimensionalen Verbindungen, die – zurück aus der Zukunft – Unsichtbares ins Sichtbare bringen. Der Bildhauer animiert das Nichts, die unendliche Schwärze des Weltalls und vereint in seiner Umpolung des Raums skulpturale Gegensätze: Materie und Nicht-Materie, Erde und Himmel. Damit stellt der Raum eine Verbindung zu den Grundfunktionen der Wahrnehmung her, der Unterscheidung zwischen Objekt und Umgebung, des Erkennens von Materie.
Die unendlichen Weiten künstlicher Bildwelten werden mit der Beobachtung des globalisierten Alltags konfrontiert, dass Ferne immer mehr schrumpft. Bilder, von Satelliten ausgesendet und von Antennen, die die Dächer von entlegenen Dörfern zieren, aufgefangen, erlauben uns, für einen Moment innezuhalten, einen Nichtraum zu einem Raum zu machen. Thomas Stricker schafft so in der Benrather Straße eine begehbare soziale Skulptur, die sich virtuell öffnen lässt: Ein ‚Schiff’ als sich durch den Raum bewegende, positive Architektur.