Die Geologie des freien Willens

Thomas von Taschitzki, 1998

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Durch die in den letzten Jahren entstandenen vielteiligen skulpturalen Arbeiten des in Düsseldorf lebenden Schweizer Bildhauers Thomas Stricker ziehen sich mehrere „rote Fäden“: Da ist zum einen das ausgeprägte Interesse an amorphen, scheinbar willkürlichen organisch-geologischen Formen, die aus weichen Materialien wie Gummi und Wachs in speziellen Gussverfahren hergestellt werden. Des weiteren bringt Stricker durch die Einbeziehung anderer Medien wie Video oder geschriebene Sprache immer eine zweite Ebene der Reflexion und der metaphorisch-imaginären Erweiterung des rein Plastischen in seine installativen Werke.

„Die Geologie des freien Willens“ lautet der Titel seiner ersten Einzelausstellung im Ausstellungsraum Thomas Taubert in Düsseldorf. Die Verbindung von analytischer Objektivität und poetischer Vieldeutigkeit, die sich bereits im Titel andeutet, prägt beide Elemente der raumfüllenden, aus einer Skulptur und einem Wandtext bestehenden Arbeit.

Der Ausstellungsraum wird zentral von der voluminösen, formal und material komplexen Skulptur dominiert. Drei sehr unterschiedliche Abschnitte gewähren differenzierte Einblicke in das Innenleben der mit Gips und Wachs gefüllten Gußform aus hellblauem Hartschaum. Indem Stricker auf geradezu wissenschaftlich-anatomische Weise Teile der Schichten des Gußkerns durch klare Schnitte und Präparationen freilegte, entstand eine autonome Skulptur, die zugleich ihr eigenes Anschauungsmodell ist. Die amorphe, unregelmässig-organische Gestalt des inneren Wachskerns resultiert aus einem aufwendigen Gussverfahren, in dessen Verlauf die ausgehöhlte Negativform zunächst als Schwenkguß mit Gips ausgekleidet und anschließend in die Höhlung die erhitzte Bienenwachs-Paraffin-Mischung gefüllt wurde. Der Text auf der rückwärtigen Wand des Ausstellungsraumes changiert zwischen materialspezifischen Fakten und metaphorischen Assoziationen, und reflektiert formelhaft die vielfältigen Aspekte der Arbeit: von Entstehungsprozess und Materialverhalten bis hin zur Selbstreflexion des Künstlers auf seine plastischen Handlungen. Stricker verfolgt mit Skulptur und Text eine geradezu didaktisch anmutende Strategie der Offenlegung maßgeblicher Momente von Produktion und Rezeption der Arbeit. Die begriffliche und visuelle Informationsfülle engt jedoch den Spielraum des Betrachters keineswegs ein, sondern sensibilisiert die Wahrnehmung für dasjenige, was in dieser Arbeit zelebriert wird: die Inszenierung einer quasi-geologischen Gestaltbildung, in welcher der “freie Wille” des Künstlers und derjenige des Materials eine symbiotische Verbindung eingehen.